Während der Physiotherapie-Ausbildung an der SUPSI in Landquart besteht die Möglichkeit, ein Auslandpraktikum zu absolvieren. Ladina Bühler unterstützte während drei Monaten die Physiotherapeutin und das Team im Gabriella Centre in Somerset West in der Nähe von Kapstadt, Südafrika.
Da ich grosses Interesse an verschiedenen Kulturen habe, sehr weltoffen bin und durch diverse kürzere und längere Reisen schon viel gesehen habe, ist es mir ein grosses Anliegen, das Gesundheitssystem und die Physiotherapie in anderen Ländern kennenzulernen. Gerade auch, da die Definition von Physiotherapie sehr unterschiedlich sein kann.
Ein Auslandpraktikum in Südafrika wollte ich unbedingt machen, weil ich bisher noch nie in Südafrika gewesen bin. Zudem ist es ein englischsprachiges Land und kulturell sehr vielfältig. Da Physiotherapie in gewissen Ländern als Luxus gilt, entschied ich mich für Südafrika als Ort meines Auslandpraktikums, der auch die Praktikumskriterien erfüllte.
Meine Eltern haben eine enge Beziehung zu Afrika, insbesondere zu Namibia und Südafrika, und pflegen bis heute Kontakte dorthin. Auf eigene Faust einen Praktikumsplatz zu finden, stellte sich als Herausforderung heraus. Als ich das Angebot von live&learn erhalten hatte, war für mich klar, dass ich dieses einmalige Angebot sofort annehmen und diese Erfahrungen machen möchte.
Meine persönlichen Bedenken bezogen sich in erster Linie auf die Sprachbarriere, sowohl hinsichtlich der englischen Fachbegriffe als auch auf die non-verbale Kommunikation mit den körperlich und geistig stark eingeschränkten Patientinnen und Patienten im Gabriella Centre. Ausserdem hat Südafrika eine interkulturelle Kommunikationsschwierigkeit, da es im Land insgesamt elf gleichberechtigte Amtssprachen gibt (Afrikaans, Xhosa, Zulu, Swazi, Ndebele, Pedi, Tswana, Sotho, Venda, Tsonga und Englisch).
Englisch wird zwar häufig im internationalen oder offiziellen Kontext eingesetzt, ist allerdings bei einem geringen Anteil (8%) der Bevölkerung die Muttersprache. Dies wiederum führt zu häufigen Missverständnissen untereinander. Trotz dieser Bedenken hatte ich keine Zweifel an der Reise und war zuversichtlich, dass alles reibungslos funktionieren würde. Durch meine Erfahrungen auf früheren Reisen habe ich gelernt, wie wichtig es ist, sich an die Umgebung und die Menschen anzupassen, um potenzielle Gefahren wie Überfälle zu vermeiden. Besonderen Wert legte ich dabei auf den Sicherheitsaspekt, da Kapstadt als eine der kriminellsten Städte gilt. Die Sicherheitsregel war sehr einfach: « Don’t do stupid things».
Dank der Unterstützung meiner Ansprechperson Antje Nahnsen von live&learn verliefen die Vorbereitungen sehr gut und zuverlässig. Die kompetente Organisation gab mir ein sicheres Gefühl, wofür ich sehr dankbar war. Antje hat mich umfassend betreut und unterstützt, und mich auf alle erforderlichen Schritte mit einer detaillierten Checkliste vorbereitet. Dadurch war die Vorbereitung zwar anspruchsvoll, aber strukturiert und unkompliziert. Zu den Vorbereitungen zählten hauptsächlich Dokumente zu beschaffen wie Reisepass, Visum, polizeiliches Führungszeugnis und diverse Versicherungen wie Auslandkranken-, Reise- und Haftpflichtversicherung. Auch galt es, die notwendigen Impfungen durchführen zu lassen, sowie das Geld (ZAR) und Kreditkarten zu organisieren.
Das Gabriella Center ist ein Heim und eine Tagesstätte für Kinder/junge Erwachsene mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung, häufig durch infantile Zerebralparese oder Schädelhirntraumata verursacht.
Zusammen mit der betreuenden Physiotherapeutin vor Ort unterstützte ich das Team und konnte meine physiotherapeutischen Kenntnisse vertiefen. Obwohl für die Physiotherapiepraxis nicht zahlreiche neue Behandlungsmethoden im Mittelpunkt standen, habe ich meine Kompetenzen im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen erweitert.
Ich habe gelernt, mit begrenzten Ressourcen effektive Therapien zur Förderung der Selbstständigkeit durchzuführen und mich hauptsächlich auf präventive Massnahmen konzentriert. Diese beinhalten unter anderem: Kreislauf anregen, Durchblutung fördern, Sekretmobilisation im Thorax, passives Durchbewegen der Extremitäten. Die vorhandenen Hilfsmittel wie zum Beispiel Schienen an Sprung- und Handgelenk zur Kontrakturprophylaxe anziehen oder die Patientinnen und Patienten auf den «Standing frame & Knee frame» vorbereiten.
Zu meinem Arbeitsalltag gehörte auch, das Team in vielfältigen Bereichen über die Physiotherapie hinaus zu unterstützen. Dazu zählten nebst Transfers vom Rollstuhl ins Bett oder ins Auto interaktive Aktivitäten, wie besondere Ausflüge oder Themen: Backen, Essen eingeben, Zeichnen, Malen, Ausmalen, Tanzen, Basteln, Turnen und Spielen.
Um die Wärmeregulation bei jeder Wetterlage zu gewährleisten, war es wichtig die vegetativen Zeichen aufmerksam zu beobachten.
Es waren die kleinen Momente, die die Arbeit als Physiotherapeutin in diesem Heim besonders machten. Die Betreuerinnen vor Ort sind alle sehr engagiert und bemüht, den Bewohnenden ein schönes Leben zu ermöglichen. Das gesamte Team war offen und herzlich, sodass ich mich von Anfang an wohl und willkommen fühlte und gerne im Team arbeitete. Während dieser Zeit sind mir alle und insbesondere die Kinder sehr ans Herz gewachsen.
Während meines Aufenthalts in der Ortschaft Strand in Südafrika habe ich in einer Wohngemeinschaft gewohnt, welche ebenfalls durch live&learn organisiert wurde. Die Wohnung lag direkt am Meer und bot eine atemberaubende Aussicht über die Strandpromenade. Diese wurde zu meiner Joggingroute. Ab und zu konnte ich die Möglichkeit zum Surfen nutzen. Die Wohnung, welche wir miteinander geteilt hatten, war für maximal elf Mitbewohnerinnen und Mitbewohner ausgelegt. Wir hatten eine sehr schöne und harmonische Atmosphäre untereinander und haben auch gemeinsam die Freizeit verbracht.
Wir waren eine zusammengewürfelte Mädels-Gruppe und haben uns auf Anhieb gut miteinander verstanden. Dies finde ich bis heute nicht selbstverständlich, wenn man die verschiedensten Charaktere betrachtet. Unsere Vermieterin Patricia Van der Westhuizen war für uns Volunteers eine wichtige Bezugsperson. Sie ist zugleich für den Flughafentransfer sowie für den täglichen Transport zum jeweiligen Projekt/Arbeitsplatz zuständig, da wir in verschiedenen Ortsteilen in unterschiedlichen Projekten wie Schulen, Schulen für Kinder mit Beeinträchtigung, Kindergarten etc. für unsere Freiwilligenarbeit eingesetzt wurden.
Gemeinsam mit meinen Mitbewohnerinnen haben wir ein Mietauto genutzt, um zahlreiche Ausflüge in die Umgebung zu unternehmen. Wir besuchten Märkte, Restaurants, machten eine Weintour und erkundeten Sehenswürdigkeiten in Kapstadt. Darunter den Tafelberg, Robben Island, den botanischen Garten in Kirstenbosch, Hout Bay, den Chapman’s Peak drive/hike, den Llandudno Beach, Camps Bay, sowie das Kap der Guten Hoffnung. Zudem haben wir eine Sonnenuntergangwanderung zum Lions Head und eine Sunset Cruise an der Waterfront unternommen. Nebst den typischen Touristenaktivitäten konnte ich meine Alltagsroutinen und Hobbies in die Tagesstruktur einbringen und auch neue Eindrücke sammeln beim Segeln, Wandern und Bouldern mit einheimischen Leuten.
In Kapstadt sind die kontrastreichen Lebensbedingungen besonders deutlich sichtbar. Diese Ungleichheit wurde mir während meines Aufenthalts sehr bewusst, und ich wurde täglich daran erinnert, wie privilegiert mein Leben in der Schweiz ist. Da ich sehr gerne Outdooraktivitäten unternehme, war die vielfältige Natur in der Umgebung von Kapstadt und das Sommerklima von November bis ca. Mitte März mit längerem Tageslicht sehr ideal.
Besonders beeindruckt hat mich der liebevolle Umgang des gesamten Teams im Gabriella Center mit den Patientinnen und Patienten. Trotz des grossen Aufwands, der mit der Organisation für spezielle Veranstaltungen und Ausflüge für diese Menschen verbunden ist, habe ich die Zusammenarbeit und den Zusammenhalt im Team sehr geschätzt und als sehr dankbar empfunden.
Für diese Lebenserfahrung und die vielen wunderbaren Menschen, die ich während meines Aufenthalts kennenlernen durfte, bin ich sehr dankbar. Diese Zeit hat mich geprägt und persönlich weiterentwickelt, sei es durch das Zusammenleben in einer grossen Wohngemeinschaft oder durch die Integration in eine fremde Umgebung und Kultur. Diese Erfahrung hat mir verdeutlicht, wie wichtig es ist, die kleinen Dinge im Leben zu schätzen. Insbesondere im Hinblick auf die Sicherheit in der Öffentlichkeit, die aufgrund der organisierten Kriminalität kaum gewährleistet ist. Begünstigt durch die von Armut geprägten Lebensbedingungen ist der Kontrast in Kapstadt sehr präsent (Loadshedding, Townships, Strassenkinder, Obdachlose, luxuriöse Waterfront und noble Stadtteile). Insgesamt betrachte ich meine Zeit in Südafrika als eine der intensivsten Erfahrungen meines bisherigen Lebens.
Daher würde ich diesen Auslandaufenthalt jedem empfehlen, der über sich hinauswachsen und neue interessante Menschen kennenlernen möchte. Das Praktikum im Heim für Kinder und junge Erwachsene mit körperlicher und geistiger Beeinträchtigung bietet einen direkten Einstieg und die Möglichkeit, neue Erfahrungen und Kenntnisse im physiotherapeutischen Bereich zu erlangen. Ich würde mich jederzeit wieder für dieses Praktikum im Gabriella Centre und die Organisation und Vorbereitungen mit live&learn entscheiden. Ein herzliches Dankeschön an meine Physiotherapie-Fachhochschule SUPSI in Landquart, die mir dieses Praktikum ermöglicht hat und an live&learn für die kompetente Organisation zusammen mit unserer Vermieterin Patricia Van der Westhuizen. Ein grosses Danke an das komplette Team vom Gabriella Centre für die unvergesslichen Eindrücke und die wertvolle Erfahrung.