Clinical Reasoning beschreibt den Diagnose-Prozess eines Physios.
Dieser fängt bereits beim Empfang eines neuen Patienten / einer neuen Patientin an mit der Wahrnehmung zum Beispiel des Händedrucks zur Begrüssung, eines Hinkmechanismus, einer Bewegungseinschränkung beim Jacke ausziehen oder sonstigen körperlichen Einschränkungen.
Die Anamnese, also das Erstgespräch hat zum Ziel, das Hauptproblem des Patienten / der Patientin zu eruieren und mögliche Hypothesen für dessen Entstehen aufzustellen. Dabei wird durch gezielte Fragen das Gespräch so geleitet, dass der Physio am Schluss alle wesentlichen Angaben erhalten hat. Aufgrund der Äusserungen des Patienten / der Patientin plant der Physio im Anschluss die körperliche Befundaufnahme.
Auch hier geht es darum, relevante Informationen sammeln zu können, um eine physiotherapeutische Diagnose erstellen zu können. Dazu werden spezifische Tests ausgeführt, welche aktive und passive Bewegungen, gezielte Palpation (Ertastung von Strukturen), Stabilitätstest, Mobilitätstest, und Vieles mehr beinhalten. Der Physio registriert dabei sowohl mögliche Entzündungszeichen, allfällige Bewegungseinschränkungen und funktionelle Defizite sowie die Bewegungsqualität.
Anhand der gesammelten Informationen analysiert der Physio die Situation unter Einbezug der persönlichen Faktoren des Patienten / der Patientin. Dazu zählen beispielweise das Alter, der Ernährungszustand, der sportliche Aktivitätsgrad, die Situation am Arbeitsplatz, die familiäre Situation etc. Ziel ist es, die schmerzauslösende Struktur oder den schmerzauslösenden Mechanismus zu eruieren. Ausserdem muss ein Physio feststellen in welcher Phase der Wundheilung sich eine Struktur befindet, ob eine akute oder chronische Schädigung vorliegt und/oder weitere Faktoren eine entscheidende Rolle für die Schmerzentstehung spielen. Gerade bei chronifizierten Beschwerden gilt es herauszufiltern, ob eine Gewebsschädigung für die Schmerzen verantwortlich ist oder ob über die Zeit eine pathologische Adaption des Schmerzmechanismus stattgefunden hat. Dazu beurteilt der Physio das Vorliegen von verschiedenen Warnzeichen (sog. «Flags»).
Im gesamten Prozess der Befundaufnahme werden laufend verschiedene Hypothesen gebildet, welche Ursachen für die Beschwerden in Frage kommen. Wichtig ist dabei, an möglichst alle möglichen Ursachen zu denken und sich nicht zu schnell auf eine bestimmte Richtung festzulegen. Andernfalls gehen womöglich etwas seltenere Diagnosen vergessen und der Patient / die Patientin wird nicht optimal behandelt. Verschiedene Hypothesen werden verworfen, andere angenommen. Am Ende des Prozesses steht die sowohl struktur- als auch funktionsbezogene physiotherapeutische Diagnose.
Diese bildet die Grundlage für die Planung des Therapieprozesses. So wird anhand der beteiligten Strukturen unter Einbezug der Kenntnisse über die Wundheilungsphasen und unter Berücksichtigung der persönlichen Voraussetzungen und der zu erreichenden Therapieziele die Therapie schrittweise geplant. Selbstverständlich muss der Physio in diesem Prozess flexibel und adaptionsfähig bleiben.
Clinical Reasoning wird während einer Therapie laufend durchgeführt und die Therapie dem aktuellen Zustand angepasst.